1 Jahr unterwegs und über 11'380 Kilometer geradelt

Da sitzen wir nun, im "Hostel Inn" in Osch auf Federbetten mit schneeweissen Leinenlaken, glotzen in die Smartphones und grübeln, welche Strasse uns wohl unserem Ziel Nepal näher bringen könnte...


Das ist echt schräg wieder hier zu sein in der Zivilisation.


Bedenkt man, dass wir den letzten Monat auf Isomatten unter freiem Himmel oder in unserem reisemüden Tatonka schliefen und gelegentlich auf dünnen Matten im Teppichstaub der Gästezimmer von pamirischen Familien.


Unsere Notdurft verrichteten wir jeweils auf stinkigen Plumpsklos oder im Niemandsland und gewaschen haben wir uns im Fluss oder im "Banja" eines Homestays, indem wir uns mit Hilfe von Eimern lauwarmes Wasser über den Kopf schütteten.


Fliessendes Wasser gab es nur vom Bach oder aus schweizer Pumpen mitten im Dorf.


Internetverbindung gab's natürlich keine und was das Essen anbelangt waren wir froh dass es Kartoffeln gab oder unser leckeres Süppchen.


Seit Azerbaijan war das Internet nicht mehr so schnell wie hier und das ist ja schon eine Ewigkeit her!


Das Fotos-Hochladen geht ziemlich flott, deshalb können wir diesmal mit einer grandiosen Fotogalerie aufwarten. 

- schmunzel-


Und dennoch, die Fotos vermögen nur einen Bruchteil der Schönheit wiederzugeben, welche wir die letzten Wochen geniessen durften.


Wir sind vollgetankt mit atemberaubenden Bildern von unserem wunderschönen Planeten und mittlerweile überflutet von kulturellen Eindrücken.


Fühle mich ganz schön satt, schon fast vollgefressen von so viel verschiedenen Reiseerlebnissen doch Percy hat noch nicht genug!


Es ist gut haben wir nun Zeit zum "Verdauen".




Tajikische rushhour
Tajikische rushhour

Auf dem Weg von Dushanbe nach Kulob


Es ist kurz vor halb sechs Abends, die Sonne schöpft noch immer aus ihrem tiefsten Kern und brennt auf die Erde nieder.

Percy ist etwas flau, deshalb haben wir "Schutz" in einer kleinen "gastinize" (Restaurant) gesucht, doch der Schweiß läuft uns noch immer den Rücken hinab und tröpfelt in die Poritzen.-ihhhh-

Wir schlürfen grünen Tee und warten auf den Segen von kühlenden Wolken am Himmel.
Seit fünf Uhr morgens sitzen wir im Sattel und es trennen uns nur noch 25 km von unserem Tagesziel: Kulob.

Während wir unsere Etappe auf der Karte ansehen und evaluieren, müssen wir schmunzeln. Wir erinnern uns an den englisch sprechenden Autofahrer, der uns auf der Straße anhielt. Sein Vater (um die 70 Jahre alt) wollte schon immer mal reisen, wie man das denn am besten macht? Ob wir ihnen helfen und ihn mitnehmen könnten?

Wir hielten es für einen schlechten Scherz und ich erklärte, wir hätten ja offensichtlich keinen Platz, aber wenn er ein Rad hätte, dann könne er mitfahren. Da schienen sich die Herren ernsthaft Gedanken zu machen, der Vater sei stark und kräftig, das würde wohl gehen, was er denn alles mitnehmen sollte?

So ging es 'ne Weile hin und her mit Reisetipps und naiv neugierigen Fragen während die heisse Mittagssonne unsere restlichen gesunden Hirnzellen dahinschmoren liess. Doch irgendwann fanden wir dann doch den Punkt um endlich weiterfahren zu können.

Etwas später am Nachmittag hatten wir uns in den Schatten eines Feldhäuschens gesetzt, dass sich am
Rande des Dorfes in der Nähe des berühmten Salzberges befand.

Kaum hatten wir uns für ein Mittagsnickerchen bereitgelegt, da kamen zwei Bauer aus dem Dorf und wollten mit uns natürlich einen Schwatz halten.
Es wurde uns eine riesige Wassermelone überreicht und so erzählten wir unsere Geschichte anhand unseres Wortschatzrepertoires bestehend aus Farsi, Russisch, Usbekisch und Tadjikisch.

Etwas später, als die Bauern wieder davon zogen, gesellte sich ein junger Herr dazu und nutze die Gelegenheit sein Englisch hervorzukramen. So plauderten wir über Gott, Allah, das Paradies, die Welt und wie hier ein Mann zum Ehemann wird. Unglücklicherweise wurde er von den Eltern seiner Angebeteten abgelehnt und so ist er nun wieder auf der Suche. Mehrheitlich werden hier jedoch die Ehen arrangiert, die Frauen arbeiten hart auf dem Feld und im Haus, die Rollen sind klar verteilt und der Mann geniesst seine Freiheiten.

Ich wunderte mich sehr über die Ansichten des jungen Mannes, denn seiner Meinung nach ist es die beste Lösung seine Frau zu schlagen, wenn sie nicht hörig ist. Er erklärte uns dies mit einem einfachen Tiervergleich: Wenn der Esel nicht das macht was man will, da wird er mit Schlägen wieder auf die richtige Spur gebracht.
Mit dickem Hals erklärte ich ihm eifrig die Welt von heute, dass Frauen nicht mit Esel zu vergleichen sind und Esel schon gar nicht zu schlagen seien.
- welch vergebene Müh-

Auf die Frage ob wir ans Paradies glauben, versuchte ich ihn darauf hinzuweisen, dass wir hier auf Erden bereits im Paradies leben, es jedoch mit Füssen treten, verschmutzen und nicht zu schätzen wissen, so dass meiner Ansicht nach der Allah oder auch Gott uns im Jenseits wohl kaum mit was Besserem belohnen wird.

-Ich glaube nicht dass er verstand was ich ihm erklären wollte, aber zumindest hatte ich für mich mal wieder Klarheit im Kopf geschaffen.-

Dann in Kulob, völlig noch in Gedanken und Träumen verloren, verpasste ich die richtige Abzweigung, sodass wir uns in diesem Dorf verirrten und bereits im Halbschlaf durch die Strassen rollten.

Letztendlich konnten wir preiswert in einer Hotellobby schlafen, es gab sogar noch Buchweizen und Tee zum Abendbrot und wir konnten uns unter einer warmen Dusche wiedermal den Strassenstaub abwaschen.

Wir sind schon seltsam wir Fahrrad-Touristen... komischerweise wurden wir aber auch gar nicht schräg angeguckt. Oder bemerken wir das schon gar nicht mehr?



Auf dem Weg nach Kalai Khumb

 

Am frühen Morgen verliessen wir Kulob und strampelten den kleinen Pass nach Shuro-obod hoch. An einer Quelle -es dauerte 10 Minuten um eine Einliterflasche zu füllen-
gönnten wir uns die sechste Verschnaufspause.

Dort trafen wir "an englisch man", namens Thomas. - Er hatte kürzlich ein halbes Jahr in Winterthur gewohnt und war nun mit dem Fahrrad von Istanbul nach Islamabad unterwegs.-
Sein Fahrrad war beneidenswert leicht bepackt und wiedermal mussten wir uns eingestehen, dass wir dann doch nicht auf unseren luxuriösen Komfort verzichten wollen.

Insbesondere Percy tut sich da schwer: Seine heißgeliebte italienische Kaffemaschine schleppt er immer noch mit, seit Duschanbe nun sogar wieder mit Kaffepulver, jedoch diesmal mit Verzicht auf das Kilo Zucker. -schmunzel-

Das letzte Stück Strasse den Berg hoch war natürlich mal wieder nur Schotter und ganz schön herausfordernd für unseren Allerwertesten.
-Hätten wir da gewusst, dass dies erst eine sanfte Kostprobe für die nächsten 300 Kilometer war, wir hätten wohl vieles anders gemacht...-

Jedenfalls, oben auf dem Pass angekommen, wurden wir mit einer herrlichen Aussicht belohnt und eine angenehm kühle Briese erlöste uns von der Hitze, die sich in den letzten Tagen in unseren Körpern angestaut hatte.

Etwas weiter unten kam der Checkpoint und ab da schlängelte sich eine aalglatte Teerstrasse talwärts. Was will man mehr um glücklich zu sein?

Zu unserer Überraschung wurden wir von den Militärmännern am Checkpoint dann sogar noch auf eine Melone eingeladen.
Kein Wunder bekommt man da schon fast Starallüren, angesichts soviel Aufmerksamkeit.

Etwas später, während unserem Picknick mit Thomas kam Hamish aus Australien an uns vorbei. Seit drei Jahren kurvt der junge studierte Astrophysiker schon durch Asien und hat scheinbar noch lange nicht genug. Mit zwei Dollar pro Tag rollt er durch die Länder. -Wir staunten...-

So fuhren wir zu viert weiter, entlang dem Grenzfluss Panji, der Afgahnistan von Tajikistan trennt.

Als die Sonne dann hinter den Bergen verschwand, suchten wir gemeinsam ein Plätzchen für die Nacht und biwakierten am Fluss mit Blick auf Afgahnistan.

Später haben wir von anderen Reisenden gehört, dass die Soldaten, welche jeweils in Dreier- oder Vierer-Einheiten dem Flussufer entlang patrouliieren, schon manchen Campeur am Fluss weggeschickt hätten. Wohl wegen den Talibans, Schmugglern oder wegen ungenügender Sicherheit.
Einer wusste sogar zu erzählen, dass man mit dem Gewehr auf ihn gezielt hatte, als er sich ein Bad im Fluss genehmigte... Wir hingehen hatten Glück und kamen wiedermal unbehelligt davon, obwohl wir uns immer wieder mal 'ne Abkühlung im Panji gönnten. Samt Radlerkostüm hüpften wir jeweils hinein und fuhren dann triefendnass weiter. Bereits nach 10 Minuten waren wir wieder trocken und ready für den nächsten Tauchgang.
Manchmal konnten wir sogar Maulbeeren und Aprikosen von den Bäumen pflücken... Mmmhhh.

So radelten wir die nächsten Tage an spektakulärer Landschaft vorbei, durch ein abwechslungsreiches Tal zwischen bunten Felsen hindurch und an malerischen Dörfchen entlang.

Die Versorgungsmöglichkeiten reduzierten sich deutlich, mal ein Teehaus nach 40 km zu finden war bereits ein Höhepunkt.

In Khalai Khumb verabschiedeten wir uns dann von Hamish, der Jungspunt zog weiter, während wir uns eine Nacht in einem kleinen Guesthouse gönnten. 
-wir alten Schlaftabletten-


Auf dem Weg nach Khorog (&Fussball-WM in Russland)

Es ergab sich, dass wir dann am nächsten Morgen nach Kalai Khumb erneut mit dem schnellen Thomas gemeinsam weiterfuhren.

Trotz Holperpisten legten wir manchmal bis zu 100 km pro Tag hin, aber abends waren wir dann ziemlich platt und mehr als essen und schlafen lag nicht mehr drin. Erfüllt von den landschaftlichen Kunstwerken, die jeweils an uns vorbei zogen, schnarchelten wir uns wieder fit für den nächsten Morgen.

Nach einer Nacht im Nirgendwo, in einem kleinen "Restaurant", vor dem wir draußen auf der Pritsche schlafen durften, machten wir uns bereits mit den ersten Sonnenstrahlen wieder auf den Weg. Percy war motiviert über 150 km zurückzulegen, um abends dann in Khorog das WM-Viertelfinale zu schauen.

Einige Kilometer vor Rushon, es war noch früh am Morgen und wir wollten die kühlen Temperaturen zum Fahren nutzen, da entdeckte Percy, dass sein vorderes Schaltkabel drastisch ausfranselte, es hing gerade noch an einem Strang. 


Unglücklicherweise konnten wir selbst nach einer Stunde herumpröbeln die Schaltung mit dem neuen Kabel nicht richtig zum Laufen bringen.
Wir entschieden, dass Percy sich mit der nächsten Fahrgelegenheit (was bei dem seltenen Verkehr wohl bis zum Abend hätte dauern können) bis nach Khorog bringen lassen sollte.


Thomas und ich fuhren also weiter in der Hoffnung, es bis vor der Dunkelheit nach Khorog zu schaffen.


Irgendwann fuhr ein Lastwagen vorbei und teilte uns mit, dass die Schaltung geflickt und "mein Mann" unterwegs sei.


So fuhr Thomas alleine weiter und ich wartete bis Percy kam. Wir fuhren noch bis Rushon in ein Guesthouse, damit Percy das wichtige Fussballspiel schauen konnte. Welch Enttäuschung dass es die Schweiz dann doch nicht weitergeschafft hat:


Die Fussball-WM in Russland haben wir uns vom Sattel aus aus einer ganz speziellen Perspektive angesehen. Energietechnisch war die Sache vorallem spannend. Je weiter wir uns dem Ak-Baital-Pass näherten, desto schwieriger wurde es, einen Fernseher oder genügend Strom zu finden, geschweige denn Leute zu treffen, die die Spiele der Schweizer Nati sehen wollten. Und doch wurden wir manchmal fündig:

Das erste Gruppenspiel gegen Brasilien konnten wir noch in Samarkand im Guesthouse live am TV verfolgen, bei Bier und Chips, mit deutschen und belgischen Reisenden. 1:1 - Glücklich aber toll, der Start war geglückt.

Beim 2ten Spiel gegen Serbien mussten wir nach tödlichem Aufstieg und nach Tränen in den Augen bis zum Isskanderkulsee dann den "Outdoorfans/der Natur" den Vortritt lassen und konnten das Endresultat am nächsten Morgen nur per Nachricht erfahren. Kein Strom-kein Fernseher-kein Live-Match. Tolles Endresultat, aber halt emotional unspektakulär und ohne Bier/Chips.

Für das 3te und entscheidende Spiel gegen Costa Rica checkten wir nach einer Abfahrt bei Mondschein nach Danghara extra für's Fußballspiel (Cécile sei dank!) in ein Luxus-Spa-Hotel mit Fernseher im Zimmer ein und fanden schließlich auch den iranischen Sportkanal. Juhu! Als ich (PJ) dann um 23 Uhr todmüde aber hoffnungsvoll mit dem Bier in der Hand auf dem Bett vor dem Fernseher sass, musste ich feststellen, dass der Match, der zeitgleich lief, anscheinend von mehr Interesse war als das Spiel der Schweizer. Pffft, so eine Enttäuschung!!! Gute Nacht.
Tja, das ist manchmal der Preis, den die Freiheit dafür verlangt. Dafür standen wir im Achtelfinale (erfuhr ich dann am nächsten Morgen per Nachrichten)!

In Rushon checkten wir in ein Homestay ein und der Gastgeber erklärte uns, dass es im Dorf eine Grossleinwand gäbe, die das Achtelfinalspiel live zeigen würde. Ich war topmotiviert. Nach dem Abendessen, etwas spät dran, aber doch unterwegs, wurden wir dann quasi zur Kino-Vorpremiere ins örtliche Jugendzentrum mit Beamer und Grossleinwand geführt. Und während noch Bauarbeiten im Saal für den nächsten Tag durchgeführt wurden (im Dunkeln, damit wir Fremden auch ein gutes Bild hatten!!), sassen wir mit holländischen Touristen und mit Bier ausgerüstet vor der Grossleinwand.  Perfekt! Spannung pur, gutes Bild, super Sound, Fingernägel schon angekaut, nach langer Zeit mal wieder, die Hoffnung riesig, die Mannschaft besser als je zuvor, die erste Halbzeit irgendwie spannend, dann die Zweite, dann der abgefälschte Schuss des Schweden, unhaltbar für Yan Sommer, Tor?-Tor! 0:1!, die Spielzeit nur noch kurz, der Match gleich zu Ende, wir draussen. Wirklich wahr. Realität. Shit! Schockstarre, ich wütend und gleichzeitig enttäuscht. Die WM war für mich zu Ende, vielleicht noch das Finale gucken, neutral, ohne Fieber, langweilig!! Alles aus.

Die Viertelfinals und Halbfinals waren nicht zu sehen. Wir radelten, quälten uns gegen Schotterpisten und Scheisshausfliegen, die uns dauernd in Ohren, Nasen und Augen flogen und am Abend waren wir müde, ich sass dann ja auch noch 3 Tage am Stück auf dem WC und verlor Gewicht. Darmprobleme: 4 von 5 Leuten hatten sie. Die Muskeln sind jetzt wohl ins Klo gefallen. ;) Egal, die WM ist ja zu Ende. Aber das Finale möchte ich noch sehen!

Nach endlosen Strapazen sind wir auch durch's Wakhan-Valley gefahren, haben den ersten höheren 4-Tausender überfahren und sind zurück auf Asphalt auf dem PamirHighway M41 in Alichur angekommen.  Es ist Finaltag in Russland, das letzte Spiel: Kroatien-Frankreich. Ich halte den Kroaten und meinem Freund Joša die Daumen. Er weiss nichts davon und ist ein toller Musiker. Ich möchte den Match heute unbedingt sehen. Alichur ist ein Nest, Strom gibt's erst ab 20 Uhr. Unsere Yurte ist schön, aber 'nen Fernseher gäbe es nur im Restaurant, oben, wo die Trucks stehen, wird's mir auf russisch erklärt. Nach dem Essen laufe ich hin. Im Restaurant gibt es keinen Fernseher, aber weiter unten im Shop gäbe es bestimmt einen sagen sie. Ich laufe also zum Shop. Dort gibt es leider auch keinen, aber weiter hinten im Dorf gibt es einen, sicher. Okay. Ich renne hin, wieder nichts. Aber dort oben in der Polizeistation gibt's einen. Jaja! Ich gehe, wieder nichts.

7mal das gleiche Prozedere. Niemand gibt zu, dass es keinen Fernseher gibt oder dass er's nicht weiss. "Gesicht nicht verlieren" ist hier Thema. Vor vielen Häusern gibt es Parabolspiegel, aber alle Kabel enden im Haus im Leeren, sind nirgends angeschlossen. An den Parabolspiegeln wird die Wäsche getrocknet. Ich habe noch eine letzte Möglichkeit. Anfang des Dorfes ist auf MapsMe ein Restaurant eingezeichnet. Ich fahre die 4km mit dem Rad hin und treffe Touristen, die mit dem 4WD-Taxi den Pamir-Highway fahren, für 100$ pro Tag mit Guide! Ein Italiener passt auf mein Velo auf während ich mich schlau mache. Der alte Pamiri hinter dem Haus mit dem Parabolspiegel lädt mich ein sein Gast zu sein, heute Abend um acht Uhr Pamir-Time, er schaut sich den Final auch an. Ich hatte den einzigen TV im Dorf gefunden und fahre zur Yurte zurück. Cécile und Rita sitzen mit Elmar am Tisch und essen bereits zu Abend.  Zum Duschen reicht's mir heute nicht mehr. Um viertel nach Acht schaue ich bei Cécile auf's Handy und merke, dass ich schon zu spät dran bin, reisse mich endlich los, schwing mich auf den Sattel und fahre los. Der Pamiri empfängt mich herzlich vor dem Haus. Die ganze Familie ist im Raum, ca. 15 Personen. Ich werde zum Essen eingeladen, auf russisch natürlich. Sauren Joghurt gibt's mit Zucker, dazu Butter, und Brot solle ich auch nehmen. Ich hatte geradeeben gegessen, aber okay, ich möchte nicht unhöflich sein und gebe mein Bestes. Alle haben viele Fragen, einer spricht ein paar Brocken Englisch. Auf Nadeln sitzend platze ich dann mit der Frage nach dem Fernseher und dem Fussball raus und entschuldige mich dafür, dass ich zu spät gekommen sei etc., die erste Halbzeit sei ja schon fast vorbei. Alle beginnen zu lachen.  Pamiritime gelte hier und nicht Duschanbe-Time, der Final beginne erst in 15 Minuten. Mir fällt ein Stein vom Herzen und ich entspanne mich, bin froh darüber dass Cécile's Handy noch auf Duschanbe-Time eingestellt war. Mir wird der beste Platz direkt vor dem Fernseher angeboten, regelrecht hingebettet werde ich, jeder schiebt mir nochmal ein Kissen drunter. Unglaublich hier, der Gast ist wieder König. Der Fernseher gibt Laute von sich, es klingt nach Eröffnungsfeier. Der Gastgeber rennt nach draussen und rüttelt am Parabolspiegel, das Bild poppt auf. Wow! Ich schaue Live-WM, unglaublich! Jetzt wird's richtig gemütlich, die Leute machen Witze, es wird gelacht und ich versuche der Familie mit Händen und Füßen den Unterschied zwischen der Schweiz und Schweden zu erklären. Irgendwann wissen sie dann, dass ich aus der Schweiz bin, dem Land mit den Banken und den Uhren. Soweit so gut. Das Spiel beginnt. Nach 5 Minuten bleibt das Bild stehen, oder stockt. Der Gastgeber rennt raus, ruckelt wieder an der Antenne.  Besser! schreien sie drinnen. Er kommt wieder rein. Die ganze erste Halbzeit läuft einwandfrei, dann ist Pause. Von den vielen Kissen ist mir schon unbequem geworden. Vor dem Haus schaue ich mir den unglaublichen Sternenhimmel an. Hier oben scheint wirklich fast niemand zu wohnen. Die zweite Halbzeit startet wie die Erste, ruckelnd. Der TV, übrigens ein umgebauter, aufklappbarer DVD-Player, wurde in der Pause abgeschaltet um Strom zu sparen. Strom gibt's im Dorf ja nur von 20 bis 22 Uhr. Der mit 12 Volt betriebene DVD-Player wird von 3 in Serie geschaltenen Autobatterien betrieben.  Dazwischen ist ein riesiges, chinesisches Gerät geschaltet, um die Spannung der Autobatterien auf die Spannung des DVD-Players zu reduzieren. Nach 10 Minuten muss eine zusätzliche Autobatterie angeschlossen werden, nach weiteren 10 noch eine. Beim 2ten Umbau fliegen dann plötzlich Funken und es riecht nach verbranntem Plastik im Raum. "Minus und Minus oder Plus", schreit der Gastgeber von draussen rein, während er die Antenne schüttelte. Dann funkt es nochmal heftig, aber das Bild läuft wieder. Mittlerweile führt Frankreich. 2 Tore haben wir verpasst. Es ist richtig spannend jetzt. Dann wieder Standbild. Die Batterien hätten wenig Strom heisst es. Der TV wird ca. 50 mal ein- und ausgeschaltet, der Gastgeber rüttelt draussen an der Antenne
rum, aber drinnen gibt ihm schon niemand mehr eine Antwort. Alle sind schon müde und ich merke peinlich berührt, dass der ganze Aufwand meinetwegen weitergeführt wird. Die Frauen liegen schon schlafend auf dem Boden oder legen sich gerade zum Schlafen, während am Eingang der Ofen noch ab und zu aufflackert. Irgendwann kommt der Alte dann wieder rein und entschuldigt sich bei mir, dass die Autobatterien so schwach seien etc. Wir schalten dann noch jede 2 Minuten den TV neu ein und erhaschen noch jeweils ein Standbild vom Resultat bis zur 88sten Minute, dann geben wir die WM endgültig auf. "Njet Problem", sage ich und versuchte ihm ein Geldnötli für seine Mühen in die Hand zu drücken. Er will es natürlich nicht und als ich es sichtbar unter den Teppich stecke, lachen die Männer wieder herzlich. Dann verabschiede ich mich von der Familie und fahre nach Hause. Dass ich im Dunkeln die Yurte dann mit dem Velolicht suchen musste und fast 40 Minuten nicht fand, weil jedes Haus fast gleich aussieht und die Hunde mich im Dunkeln immer anbellten, wenn ich zu Nahe an ein Haus rankam, werden die andern 3 Schlafenden niemals erfahren. ;) Es war der passende Abschluss des diesjährigen Fussball-"Festes".




Der 2.letzte Pass ist geschafft!
Der 2.letzte Pass ist geschafft!

Von Khorog nach Osch


Nachdem wir uns in Khorog nochmals ordentlich mit Proviant zugedeckt hatten, machten wir uns auf den Weg in das sogenannte "Whakan Valley" von dem aus man angeblich einen wunderbaren Blick auf den Hindukusch hätte...


-naja, vielleicht hatten wir zu viele Erwartungen, die "Strasse" bzw. der Schotterweg mit den fiesen Sandeinlagen forderte nicht nur unsere besten Fahrkünste sondern auch unsere letzten gesunden Nerven- 


Aber zugegeben die Landschaft war schon schön, doch konnten wir sie nicht gebührend bestaunen, da wir uns auf die Räder konzentrieren mussten.


***


Während wir unterwegs waren, waren die Talbewohner intensiv mit den Vorbereitungen für das 60 jährige Jubiläum von Agha Khan, dem ismaelitischen Führer beschäftigt.

Die Strassen wurden mit bunten Stofffähnchen geschmückt und Kunstblumen säumten den Weg. 

Nachmittags sassen alle Generationen eines Dorfes zusammen und hängten gemeinsam die Girlanden auf.


Es wirkte so friedlich, so natürlich gemeinschaftlich. In unserer Gesellschaft ist diese Qualität irgendwie verloren gegangen. Oder nicht?


***


In Langar hatten wir dann die Gelegenheit dem Fest beizuwohnen: junge Mädchen und Knaben sangen die Gebete durch quitschende Lautsprecher vor und es wurde getanzt. 


-Ja, natürlich wurde ich auch aufgefordert und ich war sehr bemüht meine plumpen Bewegungen zu kaschieren, um unter den zierlichen Frauen und den edlen Gesten nicht aufzufallen. Vergebens... Aber zumindest brachte ich Leute zum Lachen.-


Da im Tal gab es nur selten Dörfer mit Versorgungsmöglichkeiten und nur abends Strom über den Benzin-Generator...


Ein Gastgeber in Langar beantwortete unsere Frage, wie sie den Winter verbringen, folgendermassen: wir haben Wasser vom Bach und eine Brotmaschine. -Damit meinte er wohl dass sie Mehl machen können zum Brot backen-

Im Sommer verdient er etwas Geld mit den Touristen die bei ihm übernachten, mit Taxifahrten und hat wohl ne kleine Gemüse Ernte aus den Garten.


Und natürlich gibt es viele Kinder... Das wichtigste Statussymbol, da wurden wir zwei schon manchmal schief angeschaut: Kaum zu glauben, dass ein Paar nach 8 Jahren noch immer keinen Nachwuchs gezeugt hat...


***


Wir staunen über diese zähen Einwohner die trotz all der Strapazen scheinbar fröhlich sind und diese Leben bewältigen.


***


Und da in Langar trafen wir wieder auf Rita, von ihr hatten wir im Iran schon gehört, doch nun lernten wir sie "live" kennen.


Nur leider hatte sie den typischen Käfer eingefangen, der die meisten Reisenden hier für ne Weile ans Klo fesselt. - so übrigens auch Percy-

 Ein Russe fand eine nette Beschreibung dafür: "Transit", oben rein und gleich wieder unten raus.


Ab Alichur radelten wir dann gemeinsam mit Rita wieder in guter Gesellschaft über die M41, den berühmten Pamirhighway, die herausfordernste Veloroute der Welt, und strampelten die insgesamt fünf Pässe hoch.


Aber mal ehrlich, soviel Radverkehr! Es war beinahe wie zwischen Kreuzlingen und Gottlieben...soooo viele Radreisende! Was für ein beklemmendes Gefühl urplötzlich zu einem Massentourist zu gehören. Es ist schon etwas verschroben, dass sich auch so viele Schweizer in diesen Bergen hier herumtreiben...


Aber wir wollen uns ja nicht beklagen, schliesslich haben wir sehr davon profitiert! Denn gerade die Reisenden haben uns reichlich beschenkt, VIELEN HERZLICHEN DANK!!!:


So haben uns die Radreisenden Michi und Tamara mit wertvollen Informationen über Versorgungsmöglichkeiten beliefert.


Günter und Ulrike aus Berlin haben uns noch mit leckeren Müsliriegel versorgt.


Vom Motorradfahrer Max aus Deutschland konnten wir noch kostbares Olivenöl abfüllen.


Mit Andreas und Andy aus Weinfelden, die mit dem Wohnbüssli unterwegs waren, konnten wir endlich unsere letzten Turkmenischen Manat wechseln.


Vom Backpacker Elmar aus Regensdorf bekamen wir ein wichtiges Ersatzteil für unseren Brenner. -sonst wären wir verhungert-


Mit Marie-Claire und Markus aus der Innerschweiz konnten wir Kirgisische Som tauschen und die schenkten uns ein langes Ersatzschaltkabel.


Mensch! Schon wieder wurden wir so verwöhnt! Vielen tausend Dank!


***


Tja, so strampelten wir also sogar den höchsten Pass von 4655 M.ü.M. hoch, natürlich keuchten wir aus den letzten Löchern und Percy hüstelte sich mit leichter Erkältung da hoch, doch erstaunlicherweise ging es uns mehrheitlich gut. Mal etwas Kopfschmerzen, doch sonst rollte alles wie geschmiert bis dann der Gegenwind ins Spiel kam...


Die Abfahrt zum Karakol See wurde dann leider zum Kampf gegen den Wind und später zum Gefecht gegen abertausende von Mücken.


Doch jedesmal überwältigte uns die Aussicht wieder auf's Neue. Diese gewaltigen Naturschauspiele, ein unbeschreibliches Kunstwerk an Farben und Formen.





Jurte in Kirgistan
Jurte in Kirgistan

 

Welcome to Kirgistan

 

Vor der Grenze aus Tajikistan, kurz vor dem Kyzyl-Art Pass stehen wir Schlange. Wir trauen unseren Augen nicht:

Ein englischer gelber Reisetruckbus mit dutzenden von Touristen will ebenfalls  die Pässe gestempelt haben... Sie wollen rein, wir wollen raus... und nur ein Mann ist dafür zuständig diese Übertritte (beide Richtungen) handschriftlich zu dokumentieren und ist autorisiert den Stempel zu betätigen.

 

Wir denken mit Schrecken zurück an den riesigen roten Laster aus Deutschland namens "Rollhotel" den wir in Murgab gesichtet hatten.

 

Doch die Warteschlange fand dann ein Ende und dann, an der kirgisischen Grenze, ging's dann ganz flott.

 

Der Beamte betrachtete Percy schon als ehrenwerten Mann mit zwei Ehefrauen, doch musste ich natürlich wieder mal das Bild zurechtrücken...

 

Die Haltung des Kirgisen war ihm förmlich ins Gesicht geschrieben: Unverantwortlich, dass ihr in eurem hohen Alter keine Kinder habt... Tststs...

 

Der Beamte gab mir den Tipp zurück in die Schweiz zu gehen und Kinder zu machen: "Simsim" mit deutlicher Handbewegung veranschaulicht.

 

-Hmmmm alles klar...-

 

Tja, und dann, während wir so dahin rollen, an Dörfern vorbei fahren und zuschauen wie die Frauen die Teppiche am Bachrand von Hand waschen und die Männer Häuser bauen, mit Ziegeln, die gleich vor Ort in einer Lehmmulde gepresst werden, da erschreckt mich ein fürchterliches Bild:

Im Schatten eines Bushäuschens kauert ein Junge, ihm gegenüber steht ein Esel und am Po des Esels hängt das Becken eines alten Mannes.

Kaum bin ich in Sichtweite da zieht der Alte seinen Penis aus dem Hintern des Eselchens und dreht sich ab. Zu spät, ich hab's leider gesehen.

 

Mich eckelt's gar gruusig. Wie kann Mann nur! Und dann noch vor dem Enkel. Sowas abscheuliches, erbärmliches. Ich bin entsetzt! Das Bild verfolgt mich noch immer mit Schaudern.

 

Etwas später Frage ich mich, ob der kleine Junge allenfalls mit seinem Eselchen auf diese Weise sein Taschengeld aufbessert...

 

Tja und so versuche ich mich wieder auf die schöne Landschaft zu konzentrieren... Wir fahren an Jurten vorbei, Yakherden ziehen der Strasse entlang, Pferde weiden im grünen Gras...

Kinder winken uns am Strassenrand " Bye Bye" rufen sie...

 

Nach einigen Tagen sind wir wieder im Tal auf normaler Höhe. Die Bauern sind fleissig am Heuen und die Hitze bringt die Luft zum flimmern.

 

Wir haben Osch erreicht und studieren die Karten:

 

Das naheliegendste wäre der Karakumhighway, via China nach Pakistan und dann von nothingness nach Nepal. Doch es fehlt uns an entsprechenden Visa und dem nötigen Mut.

 

Pakistan scheint ohne militärischen Begleitschutz unmöglich und angeblich müsste man die Visa im Heimatland beantragen. Für China wird das Visum teuer und die Durchsuchungen und Kontrollen hören sich ziemlich unlustig an.

 

Vor uns liegt das gebirgige Kirgisien. Für 2 Monate können wir uns hier visumfrei aufhalten. Also werden wir uns hier etwas austoben. Die ideale Reisezeit für Nepal ist Oktober/ November... 

 

Tja, nun sind wir unserem Ziel schon so greifbar nah und doch ist es so unerreichbar mit unseren Rädern, ausser wir investieren viel Zeit und Geld...

 

Tatsächlich liebäugeln wir mit dem Flugzeug... Der Landweg hat für unseren Geschmack gar zu viele Hürden die bewältigt werden müssten. 

Aber erst fahren wir mal in Richtung Bischkek und ab da braucht es dann doch noch ein paar "Planungs-Sitzungen"...

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Kommentare: 1
  • #1

    Impi (Freitag, 27 Juli 2018 17:16)

    Leider nur ganz kurz, da ich nur mit dem handy schreiben kann, aber das folgende muss nun schon mal gesagt werden: so lustig, was ihr hier schreibt: zuerst die story von percy ueber seine suche nach wm-bilder, und dann du Cécile mit der esel-story. Ab jetzt betrachte ich esel irgendwie anders...Danke fuer die vielen lacher....
    Lieb von der ostsee an euch beide
    Impi