Schlaflos in Osch


Diesmal hat's mich erwischt: Nachdem Percy und Rita bereits auf dem Pamir Bekanntschaft mit ihm geschlossen hatten, tobte nun der "central-asia-käfer" in meinem Bauch und brachte meinen ganzen Kreislauf zum erliegen.
Somit verbrachte ich die Zeit mit viel schlafen, selbst als die Sonne ins Zimmerchen herein schien.

Das Ergebnis nach 3 Tagen? Es ist mitten in der Nacht, die Verdauung mittlerweile wieder im Lot und ich bin hell wach... dabei wollen wir Morgen wiedermal die Morgenstund nutzen um ein paar Kilometer kirgisisches Pflaster abzurollen...

Aber nun rollen erst mal tausend Gedanken durch meinen Kopf und lassen das Melatonin im Grübeldunst verschwinden.
Percy hingegen liegt in seine weissen Lacken gehüllt auf dem Federbett und brabelt gelegentlich im Traum. Leider gar unverständlich, es lassen sich keine Geheimnisse entlocken.
Leichter Neid keimt auf - ach geliebtes Traumland... Öffnet die Tore und lasst mich ein...-

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Die heutigen Nachrichten beschäftigen mich: bei Dangarah, -Südroute von Dushanbe nach Kulob, welche wir auch gefahren sind- sind sieben Fahrradfahrer vorsätzlich angefahren worden. Mehrere sind gestorben darunter ein Schweizer.
Es sind schreckliche Nachrichten und das Amateurvideo eines Zeugen zeigt unglaubliche Bilder.
Noch ist es ganz weit weg, das geschehen surreal, doch dann sind wir emotional stark betroffen.

Plötzlich beginnen wir zu überlegen, mit den zwei Amerikanern hatten wir doch noch kurz gequatscht, waren sie das? Zeitlich könnte es passen.
Und das Rentner päärchen Marie-Claire und Markus aus der Schweiz? Wir konnten mit ihnen noch Geld tauschen, Markus schenkte Percy ein langes Ersatzkabel, er brauche es nicht mehr, weil sie ja von Dushanbe zurück fliegen würden. Wir verabschiedeten uns mit "wir sehen uns in der Schweiz".
Ob es ihnen gut geht?
Wir hoffen inbrünstig, dass sie von diesem traurigen Schicksalsschlag verschont blieben und gleichzeitig zieht es in der Brust für die Hinterblieben, die welche "nur" mit Verletzungen übrig geblieben sind. Es ist grauenhaft. Wir haben keine Vorstellung über den Schmerz einer solchen Tragödie.

Wir sind schokiert.

Wir schaudern beim Gedanken das es uns hätte treffen können, wie wäre ich damit umgegangen?

Plötzlich bist du allein, nach einer intensiven Zeit zu Zweit und der Fahrradsattel neben dir bleibt leer.

Harter Tubak! Irgendwie wirds dann weitergehen, doch kann eine solche Wunde jemals heilen?


Mir läuft es kalt den Rücken herunter und natürlich erstellen wir gleich Hypothesen über den Tathintergrund, die Motive.
Betrunkene, frustrierte jugendliche die ein Exempel statuieren wollten. Vielleicht weil sie die westliche Welt verabscheuen, sich "rächen" wollen für die Ungerechtigkeit, dass nicht sie als Ferienplausch im Sattel sitzen können.
Angestachelt durch das überschüssige Testosteron, ermutigt durch die Kameraden und völlig blind um gegenseitige Anerkennung zu erhalten, dreht der Fahrer nochmals um und fährt erneut in die bereits am Boden liegenden Opfer.

Was treibt einen Menschen zu soviel Hass gegen sich selbst und die Aussenwelt?
Ist es die Hoffnungslosigkeit? Die Verzweiflung über die eigene Perspektivlosigkeit? Oder ist es einfach nur Neid und Missgunst?
Oder gar einfach nur Blödsinn?

Es wird unverständlich bleiben, selbst wenn wir mehr über die Hintergründe wissen werden. Es wird unfassbar bleiben für uns aus der Ferne, und für die mittendrin? 


Was bleibt ist die Trauer, das Beileid für die Betroffenen, ihre Familien und Angehörigen.




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Die Gesellschaften züchten ihre eigenen Monster, gibt es dagegen ein Heilmittel?
Wer übernimmt die Verantwortung?

Bissigen Hunden verpasst man einen Maulkorb und man setzt auf Hundeschulen damit die Hundebesitzer es recht machen lernen, doch was macht man mit bissigen Menschen?
Was macht man mit den mächtigen Menschen die zuwenig umsicht haben?

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Seit einem Jahr reisen wir Richtung Osten und seit Kroatien begegnen wir unzufriedenen Völkern die leiden, weil sie zu Säulen verbogen werden um eine Welt zu stützen, an der sie nicht teilhaben können oder teilhaben wollen.

Wer sich aus dem Korsett zu lösen versucht wird bestraft oder gar zerstört, je nach geographischer Lage hat man mehr oder weniger Glück in Ungnade zu fallen.

Die Grausamkeit in uns Menschen hat tiefe Abgründe, dafür brauchen wir keine Krimis oder Horrorstories zu erfinden. Denn wir kreiieren sie in unsere eigenen Realität immer wieder aufs Neue.

Selbst aus den Dramen der Geschichte scheinen wir nichts gelernt zu haben, so wie sich die Kleiderstylmode immer wieder wiederholt (man trägt wohl wieder Schlaghosen wie in den 60er) so erfindet sich auch die Geschichte nicht mehr neu, sondern schöpft tragischerweise aus dem Alten.

Ich wundere mich, bei soviel "Selbstentwicklung", "Persönlichkeitsentwicklung", "Selbstverwirklichung", Optimierung und Weiterentwicklung stehen wir als moderne Gesellschaft ganz schön blöd da. Erschaffen wir uns einfach eine neue Illusion?

Was haben wir den tatsächlich verändert,-im Positiven zu mindest- im Vergleich zum letzten Jahrhundert?
Noch immer wird Krieg geführt -um die Wirtschaft anzukurbeln? Und die Menschen aus ihrer Heimat zu vertreiben-

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Wir sind hier am Knotenpunkt einstiger berühmter Handelswege, zwischen dem Ferghana Tal den Pamir-, Himalaya- und Tien- Shan- Gebirge. Einst blühte hier eine Hochkultur, die Verdienste waren gut, denn der Handel führte zu Reichtum und das Wissen aus aller Welt wurde hier zusammengetragen.

Der Geschichte zufolge florierte es hier während der Westen noch in den mittelalterlichen Kindeschuhen schlummerte.

Und nun? Scheint es spiegelverkehrt.

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Ich staune wie unterschiedlich das kollektive Bewusstsein aber auch das individuelle Handlungsbewusstsein geprägt ist:

Ich erinnere mich an Albanien und den Frust der jungen Leute, dass in ihrem Land nichts funktioniert. Sie schienen in meinen Augen oft resigniert und wenige Lösungs-möglichkeiten, bzw. -interessen zu generieren. Sowas wie eine hoffnungslose Opferhaltung schien einige Gemüter in Schach zu halten.

Anders hingegen in Azerbaijan und insbesondere in Iran.
Das streben nach Wissen und die gegenwärtige Präsenz knisterte förmlich in der Luft.
Trotz der Ohnmacht über die vielen Tabus und Wiedrigkeiten zeigten sich viele hoffnungsvoll, beinahe zuversichtlich und verschafften sich Handlungsmöglichkeiten wo wir keine erwarteten und generierten Lösungen, die zwar eine "Schattenexistenz" erschufen, doch immerhin waren sie aktiv und bemüht die möglichen Situationen zu verbessern bzw. Zu umgehen wo es ihnen möglich war.

Wie kommt das?
Woher werden diese unterschiedlichen Energien gefüttert?

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Kommentare: 4
  • #1

    Sonia Bänziger (Dienstag, 07 August 2018 11:41)

    Liebe Cecile lieber Percy-John Ich habe am Freitag den Bericht über euch in der Kreuzlinger Zeitung gelesen und bin drum auf eure Homepage gestossen. Ich bin zunächst einmal einfach nur sprachlos. Sämtliche Reiseberichte habe ich inzwischen von euch gelesen und kann nur staunen, was ihr alles schon so Abenteuerliches erlebt habt. Für mich wäre das absolut nichts. Da bin ich einfach viel zu ängstlich. Von Herzen wünsche ich euch noch eine spannende Weiterreise mit vielen schönen Erlebnissen. Alles Gute, haltet die Ohren steif und liebe Grüsse Sonia

  • #2

    Kathrin Weibel (Donnerstag, 09 August 2018 15:51)

    Liebe Cecile und Percy
    anstatt zu bügeln lese ich lieber von euren Abenteuern ;) staune wie weit ihr schon gekommen seid, wie lange ihr schon unterwegs seid und über welchen Erlebnisreichtum ihr verfügt!! Ich hoffe sehr, dass ihr nicht mehr vom "Asiakäfer" geplagt werdet und sende euch einfach liebe Grüsse aus Steckborn und alles erdenklich Gute für eure Weiterreise. Herzlich Kathrin und Franz

  • #3

    Lulu (Donnerstag, 16 August 2018 10:37)

    Hey ihr Lieben zwei!
    habe gerade erfahren von dem "Unfall" da im Osten... schnellschnell musste ich heute in euren Blog um zu schauen, dass ihr auch fleissig am Bloggen seit und mehr oder weniger, hauptsache unterwegs seit... wow, bin ich froh von euch zu lesen!!!! bis bald!!!
    big hug

  • #4

    Andrea und Andreas (Freitag, 24 August 2018 22:27)

    Hallo ihr zwei lieben...
    Mir geht es gerade wie dir anfangs vom Bericht. Ich liege wach im Bett. Es ist einfach zu heiss. Da hatte ich mal wieder Zeit etwas in eurem Blog zu schmöckern.
    Wir sind froh, dass es euch gut geht! Und ihr nicht mehr zur falschen Zeit am falschen Ort wart.
    Euer getauschtes Geld haben wir fleissig ausgegeben und jetzt geniessen wir die "Freiheit" in der Türkei.
    Weiterhin viel Energie, Muskelkraft, Zufriedenheit und natürlich eine Handvoll Glück.
    Fühlt euch gedrückt...
    Andys