Kirgisistan


Von Osch aus fuhren wir nördlich Richtung Bischkek. Die Strasse führte uns entlang des Naryn, der sich türkisfarben durch eine sanfte, ockerfarbene Hügellandschaft schlängelte.

In Uzbekistan, als wir von Kulob an den Panji radelten, um ins Pamir Gebirge zu gelangen, schnitten die Bauern fleissig mit der Sense das reife Getreide, und nun, einen Monat später, sind die Bauern auch hier am Werk, jedoch mit grossen Maschinen. Prall gefüllte Lastwagen transportieren Strohballen durchs Land.

Der Radreisetourismus scheint hier deutlich reduzierter, wir fühlen uns nicht mehr wie Massentouristen und ernten wieder freundliche Begrüssungen.

Wir waren etwas irritiert als uns alle Kinder am Strassenrand stets mit einem "byebye" begrüssten. Wer hat denen wohl Englisch beigebracht?


Ein Muni kommuniziert mit Stahlpferdchen
Ein Muni kommuniziert mit Stahlpferdchen

Wiederum ziehen prächtige Landschaftsbilder an uns vorbei, sanft gewölbte grüne Hügel, goldene Weizenfelder und alpines Gebirge wartet auf uns in der Ferne.

Wir sind immer noch mit Rita unterwegs und geniessen es weiterhin in guter Gesellschaft zu radeln.

Obwohl wir stets mit unseren Stahlpferdchen unterwegs sind und sich der Alltag immer sehr ähnlich abspielt (radeln, essen, schlafen und gelegentlich faul rumlungern), stellen wir fest, dass das Reisen durch die verschiedenen Regionen und Länder sehr unterschiedliche Qualitäten mit sich bringt. In Europa machten wir sozusagen entspannte "Badeferien": entlang der Meeresküste mit Rückenwind dahinsegeln und im Zelt oder unter freiem Himmel ausruhen.

In der Türkei lernten wir dann erstmals, was Gastfreundlichkeit bedeutet und lernten, verwöhnte Gäste zu sein. Wir klapperten alle günstigen Unterkünfte ab und wurden beinahe zu "Tavla (Backgammon/Schesch - Besch (Türkisch=6 -5)-Experten.
Wir fühlten uns sehr geschmeichelt über soviel Aufmerksamkeit, an jeder Ecke wurde man zum Caj geladen... -die Zuckerueberdosis hatte es in sich: Braune Zähne und ein neuer Schwimmring um den Bauch.

Dann in Georgien erlagen wir mühsamen Erkältungen und selbst der Chacha (Wodka) am Morgen vermochte keine Abhilfe mehr schaffen. City-Sightseeing war angesagt, so wie alle anderen Touristen.

In Azerbaijan endlich das Frühlingserwachen, hilfsbereite Menschen und kleine Einblicke in eine uns schon etwas fremde Kultur.

Und dann im Iran waren wir völlig eingetaucht und durften viel von den Sitten und Bräuchen kennenlernen, konnten tiefere Einblicke in eine uns ganz fremde Welt werfen und wurden herzlich bereichert und oft mit grenzenloser Gastfreundschaft überschüttet.

Während unserer Zeit in Usbekistan lernten wir, bzw. insbesondere ich, Langschläferin und Morgenmuffel, uns zu disziplinieren: mit der Sonne aufstehen und die angenehmen Morgenstunden ausnutzen, um einige Kilometer Wegstrecke hinter uns zu bringen.

Dann in Tadjikistan erlebten wir die körperlich wohl herausfordernste Zeit. Wir begegneten vielen Radreisenden und fuhren oft in kleinen Fahrgemeinschaften.

Und nun hier in Kirgisistan sind wir irgendwie zwischen Bänken und Stühlen. Wir sind viel am radeln und vermissen ein bisschen den Kontakt zu den "Eingeborenen". So waren uns bisher nur wenige Einblicke in die Kultur vergönnt, dafür sind wir umso mehr von der Landschaft in den Bann gezogen worden.

 


Plantschen  am Naryn
Plantschen am Naryn

Stürmische Nacht

Bereits am frühen Nachmittag erspähten wir ein nettes Plätzchen am Ufer des breiten Flusses Naryn, der uns verführerisch "türkisisch" zuzwinkerte.

Da stand sogar ein Baum der einen sehr einladenden Schatten warf. Relativ schnell war klar, dass wir dort gerne etwas ausruhen und baden wollten.
Gleich in der Nähe befand sich sogar sowas wie ein "bewirteter" Campingplatz.
Kaum hatten wir das Grundstück betreten, kamen sogleich Mann und Frau auf uns zu und luden uns ein, 20 Somoni pro Person zu bezahlen (20 Smi = ca. 15 Rp).

Der Campingwart, -seine grelle Leuchtweste musste dem prallen, nackten Bauch den Vortritt lassen-,
packte sein bestes Englisch aus und erklärte, dass der nette Baum nicht zu ihrem Grundstück gehöre.
Dort drüben müsse man viel mehr bezahlen, es gäbe auch keine Elektrizität und auch keine Musik.
In Windeseile waren wir dann beim Baum und genehmigten uns ein Bad im kühlen Nass.

Percy gönnte sich ein Bierchen vom Campingkiosk und wurde dann auch gleich daran erinnert, noch die 3x20 Som Eintritt zu bezahlen -obwohl wir uns nicht auf seinem Tapchan von lauter, ungeniessbarer Musik stören liessen-.


Naja, wir hatten ja sein Land durchquert und auch er wollte sein Geld verdienen... Nun gut, zu seinem Trost besuchten wir dann noch sein Restaurant und assen Omelett und Salat.

Den ganzen Nachmittag warteten wir neugierig, wann dann der Eine zum Abkassieren käme, doch da kam niemand. -Na, da hat aber einer ordentlich gelogen und dabei tatsächlich sein Gesicht verloren!-

Tja und dann, kaum wollten wir unser Nachtlager einrichten, begann sich in der Ferne ein Unwetter zusammenzubrauen. Leider kam es näher und der Wind schob die grauen Wolken hin und her und wir waren mittendrin... Was für ein herrliches Lichtspektakel!
Um nicht nass zu werden, spannten wir das Tarp, doch die Windböen rüttelten hart am Tuch und der Regen prasselte nur so runter...es war eine fürchterlich laute und ungemütliche Nacht. Doch am nächsten Morgen, schön wieder die Sonne zu begrüßen, zogen wir weiter, immer höher zu den Bergen hinauf.


Zelten und die Überraschungen:


Es ist mitten in der Nacht, der Wind hat aufgehört doch es knistert als würde es auf unser Zelt regnen. Ich erhebe leicht den Kopf um besser zu lauschen, da krabbelt was garstiges auf meine Nase. Oh Schreck! Ne Heuschrecke!


Versuche sie aus dem Zelt zu bugsieren, doch am nächsten Morgen hängt sie immer noch am Eingang...



Einblicke in den Veloalltag:


Wir sind kurz vor dem Ziel, wir haben den letzten Pass vor Bishkek überwunden. Vor uns liegt der Tunnel und hinter diesem erwartet uns eine lange Abfahrt.

 

Endlich sind wir alle ausgerüstet mit Leuchtwesten und Blinklichtern und wollen durch den 2.5 Kilometer langen Tunnel fahren. Da hält und ein Wachmann an, es sei nur für Autos, für Velos verboten, wegen den gefährlichen Gasen drinnen könnten wir nicht durch den Tunnel fahren. Der Herr gibt uns zu verstehen, dass er ein Taxi organisieren werde, setzt sich jedoch nach seiner Rede wieder gemütlich zu seinen Kollegen an den Tisch und knackt weiter seine Sonnenblumenkerne. Es sieht nicht so aus als könnten wir da bald ne Lösung erwarten, so packe ich die Gelegenheit am Schopf und halte gleich den nächsten Lieferwagen an. Dummerweise sind meine Russisch-Kenntnisse sehr mickrig, doch plötzlich steht da wieder der Wachmann und klärt den Fahrer auf. Ja wunderbar! Es ist da sogar Platz für unsere drei Räder und das Gepäck, alles wird verladen und wenige Minuten später wieder ausgeladen.

Na das ging ja flott!

Und wir kamen ohne Abgas-Vergiftung davon! 


Nun sind wir also hier in Bishkek und wieder haben wir eine Etappe geschafft. Seltsam ein Ziel zu erreichen das stets so weit entfernt war.


Wir sind müde. Der Körper ist irgendwie ausgelaugt und wir sind froh hier wieder etwas verweilen zu dürfen, in einem kleinen Hostel, irgendwo in dieser seltsamen Stadt.


***


Oben auf der Ebene, kurz vor dem letzten Pass, habe ich neben unserem Wildcamp auf der Weide ein IPhone gefunden.

Ich hatte gehofft, hier in Bischkek, über die Telefongesellschaft den Besitzer ausfindig machen zu können. Nun stellte sich heraus, dass die Simcard nicht registriert ist und das Telefon vermutlich einem Farsi sprechenden Menschen gehört.

Die Chance den Besitzer ausfindig zu machen sei aussichtslos. Und die Polizei? Das sei eine schlechte Idee meinte man...


Tja schade, ich hätte der Person gerne die Freude bereitet und es zurückgegeben. Doch irgendwie scheint das gar nicht so einfach...


***


So wälzen wir in unseren Köpfen Ideen, Gedanken, Wünsche und müssen uns wiedermal mit den eigenen "goldenen Regeln" und Prinzipien auseinandersetzen.


Was haben wir doch alles schon über den Haufen geworfen...


Und nun stellt sich die Frage erneut, inwiefern halten wir uns an das Motto "ökologisch und mit eigener Muskelkraft"?

Das "Nicht fliegen" taucht nun plötzlich doch als grosse Hürde auf.


Wir müssen uns eingestehen, es wäre dann vielleicht doch sinnvoll gewesen, das Pakistan- und China-Visum im Voraus zu beantragen, aus der Heimat.


Doch via Karakol-Highway nach Pakistan haben wir verpasst und die Route über China ist weit, der Winter nicht mehr fern.


Wir könnten natürlich hier eine längere Zeit warten, doch der Himalaya ist schon so nah gewesen, wir waren schon so hoch oben... Es ist doch gar nicht mehr so weit... Doch der Landweg ist uns grad nicht so geheuer. Sollen wir unser Ziel fallen lassen und stattdessen via Kasachstan wieder Richtung Europa radeln?


So viele Optionen und Möglichkeiten und letztendlich liegt es einfach an unseren Entscheidungen. Für uns kristallisiert sich heraus, dass wir im Frühjahr wieder in der Schweiz sein wollen, das heisst im Frühling wieder Richtung Europa radeln.


Wir haben uns entschieden noch nach Almaty zu fahren, nachdem wir hier in Kirgisistan noch ein paar Berggipfel bewandert haben.

Anschliessend werden wir wohl oder übel die Stahlpferdchen in Boxen verpacken und nach Dehli fliegen.


Von dort gedenken wir gegen Ende September, wenn der Südwestmonsun ausklingt, die westliche Grenze bei Bhimdatta (Nepal) zu überqueren und fahren dann im Tiefland nach Kathmandu und gönnen uns zwischendurch nette Wanderungen.


Wir liebäugeln damit den Winter im warmen Süden von Indien zu verbringen. Sind uns aber noch unsicher ob wir dort wirklich mit den Fahrrädern reisen wollen. Von Reisenden wird es als ganz schön anstrengend beschrieben, weil man stets als TagesHauptAttraktion behandelt wird und jeder Schritt und Tritt von hundert neugierigen Augenpaaren beobachtet wird. -phu!- ja wer weiss ob das überall so ist... Ja mal sehen... Das liegt ja noch in ferner Zukunft und was bis dahin geschieht steht in den Sternen geschrieben.



Samarkand
Samarkand

Nachtrag mit viel Verspätung: Für Helen ;)

Sammelsurium von Impressionen aus Kirgisistan


Es ist manchmal gar nicht so leicht den hiesigen Servierdamen ein freundliches Lächeln abzugewinnen.


Am Markt oder im Laden müssen wir regelrecht darum kämpfen, bedient zu werden; hier scheint niemand den "schweizerischen Kundendienst" zu kennen.


Privatsphäre und hinten anstehen gilt schon gar nicht. Da wird vorgedrängelt und Geld hingeschmissen. Während wir noch "Anstands- Floskeln" stammeln wurden schon drei Leute bedient.


Es scheint generell nicht von Interesse zu sein, die Produkte attraktiv feilzubieten, bzw. diese verkaufen zu wollen.


Z. Bsp. Die Melonen- Verkäufer am Strassenrand schlafen in ihren Stahlpritschen und kümmern sich nicht um Kundschaft.


Überhaupt haben wir wenig Verständnis für das Verkaufskonzept. Seit der Türkei finden wir immer wieder, dass in einer Gasse alle dasselbe verkaufen wollen. Bei soviel Konkurrenz, wie kann man da Gewinn absetzen? Verdienen die Verkäufer tatsächlich genug mit dieser Taktik? Oder hat der Onkel und der 3. Cousin 2. Grades halt eben auch den selben Krämerladen? Und wird die "Ausbeute" dann aufgeteilt?


***


Vom Fahrstil soll hier schon gar keine Rede sein. 


Aber faszinierend ist schon, wie viele Menschen sich in einen Wagen quetschen/falten lassen.


Bereits in Sary Tash ist uns im ersten "Magazin" die Quantität und Diversität des Feuerwassers aufgefallen, neben der schrumpligen Peperoni und der angedätschten Tomate, zieht man lieber das wohlverpackte Fläschchen vor, denn ist die leer, weiss man gar nicht mehr dass man Hunger hatte.


Mann nimmt auch gern mal heimlich oder offensichtlich ein Schlückchen aus dem Fachmann, sei es während der Arbeit oder beim Autofahren.


Manch einer trinkt auch gern mal über den Durst hinaus... Aber wo nicht?


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Bei Radkha in Gulcha wurden wir nicht nur in das Geheimnis des Mantimachens eingeführt, sondern auch, wie man Säuglinge verpackt und in den Schlaf schüttelt:

Die hölzerne Wiege verfügt über ein Loch, darunter lässt sich ein Plastikbehälter hängen, um dann die Flüssigkeit (Urin) aufzufangen.

Das Kind wird auf den Rücken gelegt und die Beine werden ordentlich festgezurrt, der Kopf mit einem Köpfchen fest eingerichtet und ganz viel Stoff um den Körper gewickelt, und das bei 35°Grad im Schatten.

Jedenfalls wird bei den Jungs (Mädchen ist anders) eine hölzerne Pfeife (wie 'ne Tabakpfeife) auf den Penis gestülpt und der Stil ins Loch gelegt, sodass der Urin abfliessen kann. Was mit den Exkrementen passiert ist uns unklar geblieben.


Den meisten Kindern wird der Kopf kahl geschoren, das sei anscheinend komfortabler für sie. Percy vermutet dahinter lediglich eine Schampoo-Ersparnis-Idee.


Haben wir schon erzählt, dass Percy einem Säugling dreimal mit dem Fuss den Kopf berühren durfte?

Anscheinend, so der Glaube, verfügt ein Mann, der das Meer überquert hat, über besondere Kräfte, das fördert den Haarwuchs bei Kindern. 

Dass Percy nur entlang den Küsten gefahren ist scheint dabei keine Rolle zu spielen. (PJ: Hätte doch früher nur mir mal einer kräftig auf den Kopf getreten! ;))

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Kommentare: 2
  • #1

    Caroline (Donnerstag, 16 August 2018 11:41)

    Hoi zäme,
    So schön eure spannenden Geschichten zu lesen, was ihr so erlebt auf eurer Reise und wie sie weitergehen soll. Eure Gedanken über die weitere Reise hat mich erstaunt. Wie kommt ihr eigentlich dazu, euren Blog zu aktualisieren. Geht ihr in Internetcafes? Liebe Grüsse Caroline

  • #2

    Thomas (Montag, 20 August 2018 13:01)

    Now I have finished my journey, I love to read your blog, as it makes me feel as if I carried on cycling with you and I am there now - oh how I wish!