Richtung Süden


Bananentransport in Hampi
Bananentransport in Hampi

Nachtzug nach Hampi

Wir liegen im Zug auf unseren Pritschen im Schlafwagen und rollen durch die finstere Nacht nach Hampi, etwas weiter in den warmen Süden.

Der Wagen ist dunkel bis auf die von den Smartphones hell beleuchteten Gesichter. Sie sind wie Strassenlaternen, sie leuchten mir den Weg zum Klo.
Mit wenigen Ausnahmen blicke ich in konzentrierte Gesichter, deren Augen in ein buntes Bildschirmchen versunken sind - und höre hyperaktive Nasenlöcher, die gegenseitig um die Wette schnarchen.-

Hätte man damals unseren Eltern, als sie noch keine Eltern waren, von ihren Kindern und der Technik im 21. Jahrhundert erzählt, so hätten sie es wohl kaum für möglich gehalten und den Utopisten ausgelacht.

Schon seltsam diese gegenwärtige Welt, besonders hier in diesem Land, wo gelebte Traditionen und der moderne Lifestyle noch Hand in Hand durch die Gassen streifen und Papierdrachen in den Himmel steigen gelassen werden.


Tja, vieles ist im Wandel, doch schnarchen tut man immer noch.
Das hat irgendwie doch auch 'was Beruhigendes. Ne?


Im Schlemmparadies

Während wir uns experimentierfreudig die kulinarischen Köstlichkeiten Indiens einverleiben, dehnt sich der Bauchumfang unseres Spiegelbildes besorgniserregend in den Schaufenstern.

Skeptisch blicken wir auf die Damen, die ihre pralle Kugel stolz unter dem Sari verstecken und wundern uns über die hageren Burschen, die mit ihren Storchenbeinchen vorbeilatschen.

Wir assimilieren bereits wunderbar mit unserer Umwelt, würde uns unsere Hautfarbe und Percy's Kopfwackeln nicht verraten, man könnte uns doch glatt für Inder halten!

Wir sind schon soweit, dass wir sogar Eintritt bezahlen, um in künstlich angelegten, mickrigen Parks gemeinsam mit dem Volk unsere Bäuche spazieren zu führen.
- na logisch, was soll man auch sonst tun, wenn man keine Hunde "Gassi" führen muss?-

Aber das Highlight in solchen Parks ist, dass neben den unglücklich ausgesetzten Papierdrachen, die trostlos in den Bäumen hängen, manchmal auch Yogamatten zwischen Ästen geklemmt sind und nur darauf warten, benutzt zu werden.

Aber dann hat uns 'was einen Strich durch die Rechnung gemacht und
so war unser neues Hobby dann doch nur ein vorübergehender Spuk.

Denn kaum hatten wir Varanasi den Rücken zugekehrt, da wütete ein ausdauernder Käfer in unseren Eingeweiden, zuerst natürlich bei Percy und ich glaubte mich verschont, aber wir teilen ja so gern...

Das war wohl die Rache für unsere Blasphemie, uns über die indischen Bakterien und Viren erhaben zu fühlen.
So kamen wir also zu einer Gratisentgiftung, wozu also noch Geld in eine ayurvedische Panchakarmakur investieren?

Dummerweise hat unser Immunsystem daraufhin die Fassung verloren und unser Körper sich wohl dermassen vernachlässigt gefühlt, weil er nichts mehr zu tun hatte, sodass wir gezwungen waren mit den Schweizern zu Hause zu solidarisieren und mit einem grippalen Infekt das Bett zu hüten. 

Hyderabad ist stark islamisch geprägt und daher auch die Kultur entsprechend gefärbt. Wir wurden wieder viel öfter gegrüsst (natürlich nur von Männern) und konnten kleine Smalltalks führen.
Den schwarzverhüllten Frauen konnte ich nur verstohlen zuzwinkern, ihre Reaktion blieb jedoch unter dem schwarzen Schleier verborgen. 

Wir wandelten einmal wie Ausserirdische auf einem neuen Planeten durch eine riesige Shoppingmall und verweilten staunend in einem Supermarkt vor Regalen voller Lebensmittel und Hygieneartikel.
Seit Almaty hatten wir keine derartigen Konsummonster mehr gesehen!
Dabei wurden wir inflagranti erwischt. Ein Angestellter zeigte uns sogleich Mayonnaise und Weichkäse, wir schüttelten überrascht den Kopf, -ach blöd, das (Kopfschütteln) heißt hier ja eigentlich meistens" ja"... schon drückte er uns das Zeug in die Hand. Erst als wir uns umsahen, erfassten wir die Situation, die soeben per Handy von einem weiteren Angestellten gefilmt wurde... ach so... es war nur "Selfie-Werbung". Die Ware verschwand wieder im Regal und der junge Mann grinste über beide Ohren.
Vielleicht kriegt er ja noch 'nen Bonus dafür von seinem Boss?

Ja, so kamen wir also in den Genuss, die Mittelklasse Indiens kennen zulernen.
Die Strassen waren verhältnismässig sauber und ruhig, glänzende Importwagen wie Mercedes und BMW rasten gelegentlich an uns vorbei und die riesigen Wohnsiedlungen und Villen beeindruckten uns natürlich sehr. 

Die Quartiere waren oft leer, die Häuser wirkten unbewohnt, so typisch unindisch. Auch die modern eingerichteten und teuren Restaurants waren mehrheitlich leer.
Doch manchmal an für uns unbedeutenden Stellen, sprossen kleine Imbisswagen aus dem Nichts und allerlei Volk tummelte sich da. Sobald wir etwas weiter liefen fanden wir dann wieder das lebendige Gesicht Indiens, so wie wir es kennen. Kleine Kioske, spielende Kinder, Männer die Chai trinkend vor ihren kleinen Geschäften sitzen und Frauen in bunten Saris.


Was Kränkelnde so beschäftigt


Unser Guesthouse war umzingelt von sehr aktiven Baustellen und unser Zimmer ein dunkles Loch trotz zweier Fenster, -es ist mir ein Rätsel wie ich bei diesem Lärm während drei Tagen praktisch nur geschlafen habe-.
Auf der Dachterrasse befanden sich genau zwei intakte Stühle neben allerlei ausgedientem Inventar.

Wie kann sich dieser Betrieb über Wasser halten und so teuer sein? Bedenkt man, dass die Banjara Hills von der Mittelklasse belebt wird, die Geld, Styl und Weltknowhow haben...

Das Frühstück (im Preis inbegriffen) bestand am ersten Morgen aus vier trockenen Toastscheiben und einem Omlett (für beide) ohne Salz, am zweiten Morgen aus vier Toastscheiben und einem Löffel Butter (für Percy) und drei Idlys (Reispfannkuchen) serviert in Zeitungspapier mit Peanutmus zwischen Plastikfolie gequetscht und irgendeine Masalasauce im Plastikbeutel (für mich).

Seither fanden wir am Morgen Zuflucht in einem Cafe, welches eigentlich für Kinder und ihre Eltern gedacht war. Es war stets unbesucht, und wir hätten uns mit Lego, Kinderyoga, Klavierstunden und Puppenhäusern die Zeit vertrödeln können... aber wir blieben anständig, wie es sich so gehört als Erwachsene.

Also, falls ihr jemals in Hyderabad, in den Banjara Hills verloren gehen solltet, wir beraten Euch gerne. ;)


Sightseeing

Tja, die Altstadt Hyderabads soll wohl die schönste Indiens sein... trotz einer Woche Aufenthalt haben wir sie nie gesehen und all die anderen Dinge, die man tun müsste, haben wir nicht gemacht.
Es reichte gerade mal für die Golconda Fort Besichtigung. Na immerhin.
Keuchend wie 95jährige krakselten wir die wenigen Stufen hoch zum Aussichtspunkt und trauerten mit den vielen ausgedienten Latschen und Flipflops die herumlagen und dem Aufstieg nicht gewachsen waren.

Und wir sind über 16 Monate geradelt?
Wir sollten doch in Topform sein! Es ist grauenhaft wie uns diese Käfer die Energie geraubt haben!

Nach einem "Selfie- Marathon" mit halb Indien glaubten wir unsere Pflicht für diesmal als erledigt.
Wir hatten keine Lust mehr auf Stadtbesichtigungen, zogen daher weiter nach Hampi, zu den Ruinen der einstigen Vijayanagara- Herrscher.

 

Spontan eröffnen wir ein neues Hobby: "Selfie-Galerie":


Mittlerweile einige Tage in Hampi


Schon verrückt, nun haben wir ohne es zu merken wieder einen weiteren Staat betreten. Innerhalb eines Tages haben wir uns 1000 Kilometer fortbewegt, sonst brauchten wir einen ganzen Monat für dieselbe Distanz...

Hier spricht man also kein Telugu mehr, denn wir sind in Karnataka. Andere Sprache, andere Sitten und anderes Essen. Wir haben es längst aufgegeben etwas Hindi dazuzulernen, denn mit Englisch schlägt man sich prima durch. 


Selbst die Inder aus dem Norden fühlen sich hier fremd und kommunizieren mit ihren Landsmännern in Englisch, weil die meisten angeblich kein Hindi sprechen wollen, dies betreffe besonders die ältere Generation.

In dieser seltsamen Landschaft aus Granitstein, welche aus einer Laune der Natur heraus entstanden ist, blühte einst im 15. Jahrhundert ein riesiges Königsreich. Heute stehen die Ruinen unter UNESCO-Schutz und das kleine Dorf, das aus einem Nest aus Gästehäusern besteht, liegt direkt neben einem wichtigen Tempel, in dem man gegen einen kleinen Obulus von einer Elefantenkuh gesegnet wird.

 

Wir geniessen hier also die sonnigen Tage an der Wärme und kurieren unsere hartnäckige Erkältung aus.

Wir lernten heute auch zwei nette, indische Brüder aus Mumbai kennen und verbrachten einen tollen Abend mit Kartenspielen: Tschau Sepp und Special Lassi (Lassi mit Bang, bzw. Hasch). -nein, wir trinken natürlich heisses Ingwerwasser und schauen den Jungs zu, so brav sind wir!-

Denn wir haben nach Ayurveda gelernt,  Milchprodukte verschleimen unseren Körper und sind gar nicht hilfreich bei Erkältungen...

 

Bei unserer Erkundungstour zum sogenannten "Wasserfall", der sich dann als ruhiges  Wasserbecken inmitten von wunderbaren Steinskulpturen entpuppte, trafen wir auf einige Bananplantagenarbeiter, die nebenher ihre Geldbörse mit dem Verkauf von Marihuana aufbessern, oder sich als "Guide" verdingen, na so ist das Geschäft natürlich schon lukrativ.

So ist das also.... deshalb sammeln sich hier auch viele junge Hippies aus aller Welt... hmmm, da passen wir irgendwie halt einfach nicht mehr rein...

 

Und nun? Selbst Percy staunt, wieviel Geschreibsel zusammenkommt,  obwohl nichts wirklich geschehen ist. -grins-

 

Ja irgendwie erscheint unsere Reise wohl etwas langweilig, mit dem Fahrrad gab es tagtäglich vielfältige Abenteuer. 

Wir tauchen auch nicht mehr so intensiv in die Aussenwelt ein, vielleicht weil wir in der Masse der Rucksacktouristen untergehen oder auch nicht mehr dieselbe Energie aufwenden, um in Kontakt zu kommen.

Wie auch immer, die innere (Rück-)Reise hat begonnen.

 

Wir verarbeiten das Erlebte und bereiten uns langsam auf die Schweiz vor...

Kommentar schreiben

Kommentare: 3
  • #1

    Eva Mam (Dienstag, 05 Februar 2019 13:05)

    Hallo ihr zwei Rucksack Touristen
    Schon lange haben wir gewartet, wann endlich wieder eine Reisebeschreibung folgt.
    Diesmal haben euch die "Käfer" viel Energie gekostet! Hoffentlich seid ihr wieder wohl auf und gesund.
    Die Fotos sind wunderschön und so farbig!

    Liebe Cecile, lieber Percy-John
    Am besten haben uns die letzten zwei Sätze gefallen...
    "Rückreise hat begonnen" und ihr bereitet euch auf die schöne Schweiz vor.
    Wir freuen uns sehr, euch Zwei in die Arme zu schliessen.

    With love eure
    Mam Eva und Dad Hans

  • #2

    aizuL (Sonntag, 17 Februar 2019 21:59)

    Hey ihr Lieben, schön von Euch zu lesen und von Hampi zu erfahren :-) (und den Hippies, die ich dort nie gesehen habe?!) und was alles in Indien so von sich geht oder eben nicht... was die Augen doch alles ins Hirn übersetzen oder bei anderen weg lassen...
    ich freu mi auch, wenn Ihr wieder zurück seit! öh, bei uns in Oltingen hat es noch Platz ;-).
    ich war eine Woche zu Fuss in den Algarven unterwegs, mit Tarp, Schlafsack, Mätteli und Handgepäck. Ein paar Tage aufs wesentliche reduziert und die Fülle vom Leben und Natur erlebt... also geniesst es noch, ihr lebt den Luxus vom Wesentlichen! ;-).
    big hug
    Luzia

  • #3

    Vaibhav Bhagat (Donnerstag, 07 März 2019 12:43)

    Dear Percy John and Cécile,

    Beautiful blog. Will inspires people to travel more.
    You guys were one of the highlights of our Hampi trip.
    That night at Ravi's Rose, playing card and sipping on that Special Lassi is still a fresh memory ;)

    Best wishes and regards,
    Vaibhav (The Elder Brother)